Steven Kiefer und Thomas Wollmann
Betrachtet man die heutige Situation vieler Institute und die damit verbundenen Probleme im Einlagengeschäft, so ist es kaum mehr vorstellbar, dass es Zeiten gab, in denen es einen intensiven und regen Wettbewerb um die Gewinnung von Kundeneinlagen gab. Mit teilweise über Marktniveau liegenden Zinssätzen für Neu- und einer Fülle differenzierender Produkte für Bestandskunden wurde versucht, die Gunst der häufig sozioökonomisch attraktiven Kunden zu gewinnen. Betrachtet man die Bedeutung von Kundeneinlagen abseits von Zeiten extremer Niedrigzinsen ist dies auch leicht nachvollziehbar. Gehen doch von der Passivseite wichtige Potenziale für das Geschäftsmodell, insbesondere regionaler Institute aus. Banken und Sparkassen konnten über das Einlagengeschäft lange „Einkaufsvorteile“ für den Produktionsfaktor „Kapital“ in Form passiver Konditionenbeiträge ggü. dem Bank- und Kapitalmarkt realisieren und ihre Zinsspanne im Vergleich zu den Geschäftsbanken deutlich ausweiten. Weiterhin konnten über attraktive Einlagenangebote im Vergleich zu anderen Produkten recht einfach Neukunden am Markt gewonnen werden, da Einlagenprodukte nach dem Zahlungsverkehr die am häufigsten vorkommende Kategorie bei Finanzprodukten darstellen und die Wechselbarrieren auf Kundenseite im Verhältnis zu anderen Bankprodukten signifikant niedriger sind.
Auch heute herrscht ein intensiver Wettbewerb im Einlagengeschäft, jedoch mit negativem Vorzeichen. Erfolgreich im Einlagengeschäft zu sein bedeutet heute recht häufig, Verwahrentgelte möglichst flächendeckend und erfolgreich im Bestand durchzusetzen, Einlagen systematisch, möglichst durch Veredelung abzubauen und die Neuaufnahme von Einlagenkunden aus dem Wettbewerb möglichst zu verhindern. Gemeinsam ist all diesen Maßnahmen, dass diese kurzfristiger und damit taktischer Natur sind. Was hierunter zu verstehen ist, wird im Laufe dieses Artikels noch weiter vertieft. Sofern jedoch das aktuelle Niedrigzinsumfeld tatsächlich bis Ende des Jahrzehnts andauert, so müssen die Herausforderungen im Einlagengeschäft strategisch und langfristig angegangen werden. Hierzu ist ein Umdenken in der Herangehensweise an das Einlagengeschäft notwendig, um auch die Chancen der aktuellen Situation zu erkennen und die Passivseite wieder zu einer wichtigen Ertragssäule zu machen. Schließlich handelt es sich um ein Geschäftsfeld, welches in vielen Häusern für rund 90% des gesamten Bilanzvolumens steht.
Wie bereits erwähnt wird ein Teil der Lösung heute in der erfolgreichen Konversion von Einlagen, meist durch eine Stärkung des Wertpapiergeschäftes gesehen. Dieser Schritt ist nach den Erfahrungen von Investors Marketing absolut richtig und auch erfolgsträchtig, da trotz hoher Investitionen in den Ausbau des Wertpapiergeschäfts hier in vielen Banken und Sparkassen noch ungenutzte Potenziale liegen. Dennoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass hierüber nicht alle Einlagenkunden erreicht werden können. Deutschland ist weiterhin kein „Aktienland“ und trotz hoher Steigerungsraten in den vergangenen Jahren liegt die Anzahl deutscher Aktionäre gerade einmal bei knapp unter 10 Mio. Kunden. Rechnet man weitere Wertpapiergattungen hinzu, so lässt sich erkennen, dass statistisch ca. 25 % aller Deutschen eine gewisse Wertpapieraffinität aufweisen. Alle weiteren Kunden stehen gegenwärtig und künftig also vor einem Entscheidungsdilemma, wie folgende Abbildung zeigt:
Sollen die Herausforderungen der Passivseite also nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig angegangen werden, so braucht es auch Antworten und Lösungen für Kunden ohne Wertpapieraffinität. Soll hierbei ein Mindestmaß an Kundenzufriedenheit gewährleistet bleiben, gilt es auch diesen Kunden Alternativen zum Verwahrentgelt aufzuzeigen. Ansonsten wird man latent Gefahr laufen, diese Kunden systematisch an den Wettbewerb zu verlieren, sofern dieser entsprechende Lösungen aufzeigen kann. Zu denken, gerade diese Abwanderung sei von Vorteil, da ja hierüber mitunter der Einlagenbestand reduziert werden kann, ist zu kurz gedacht, wie jüngere Beispiele zeigen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich nämlich weiterhin um attraktive Kunden, sofern diese richtig bearbeitet werden. Es zeigt sich beispielsweise, dass Kunden mit hohen Einlagenbeständen überdurchschnittlich häufig im Eigentum wohnen bzw. für den Erwerb eines Eigentums affin sind. Es überrascht daher nicht, dass ausgerechnet das Makelei-Unternehmen Engel & Völkers kürzlich verkündete, mit eigenen Einlagenprodukten, welche gezielt von Verwahrentgelten betroffen Kunden adressieren, in das Bankgeschäft einzusteigen. Dieses Beispiel zeigt auch, dass man die betroffenen Kunden nicht isoliert mit Blick auf das Einlagengeschäft analysieren sollte. Es ist richtig, dass Kunden, welche trotz vieler Jahre der Niedrigzinsphase keinen Handlungsdruck verspürt haben, sich durch eine ausgesprochene Trägheit auszeichnen. Eine Eigenschaft, die zwar mit Blick auf das Einlagengeschäft nachteilig, jedoch z.B. bei Preisanpassungen im Zahlungsverkehr regelmäßig der Haupttreiber dafür ist, dass solche Anpassungen ohne signifikante Kundenverluste umgesetzt werden können. Es gibt jedoch auch weitere Gründe dafür, diese Kundengruppe auch mit Fokus auf die Passivseite näher zu betrachten. Banken und Sparkassen beschreiben ihre Herausforderungen auf der Passivseite meist über einen vorhandenen Passivüberschuss und das Negativzinsumfeld. Es gibt aber darüber hinaus mindestens noch eine weitere Herausforderung, aus der Optimierungsansätze resultieren können. Die vorhandenen Passiva sind inzwischen in nahezu allen Instituten ausschließlich täglich fällig und ermöglichen folglich strukturell keine solide Refinanzierung des Aktivgeschäftes mehr. Würde es gelingen, die Fristigkeiten der Passivseite wieder zu verlängern, würden hieraus gänzlich neue Handlungsmöglichkeiten und Opportunitäten für die Institute entstehen.
Wie soll es aber gelingen, Kunden in längere Fristigkeiten in einer Welt ohne Zinsen zu konvertieren? Dafür ist ein Umdenken in der Herangehensweise notwendig. Banken und Sparkassen haben in der Vergangenheit zur Steuerung der Passivseite die einfache, nachvollziehbare Regel „Zins gegen Laufzeit“ etabliert und ihre Kunden entsprechend erzogen. In einer Welt ohne Zinsen ist es nach dieser Regel absolut rational, wenn Kunden die einzig verbliebene Stellschraube, nämlich die Laufzeit bzw. die Flexibilität, aus ihrer Perspektive heraus, optimieren. Die Produktpolitik der Banken und Sparkassen im Einlagenbereich hat in der Vergangenheit also nahezu ausschließlich die Frage „Wie“ Kunden Sparen sollten adressiert – selten die Frage des „Warums“? Genau in dieser Unterscheidung steckt aber großes Potenzial.
Klar ist, dass keine Bank im aktuellen Niedrigzinsumfeld die alte Regel „Zins gegen Laufzeit“ wieder reanimieren kann. Umso bedeutender ist hier aber doch dann die Tatsache, dass die deutsche Sparquote trotz der langen Niedrigzinsphase nicht gesunken ist – im Gegenteil. Diese ist teilweise sogar in den vergangenen Jahren noch gestiegen, was sich auch in den steigenden Einlagenvolumina auf Bankenseite zeigt.
Für die Frage, „ob“ Kunden ein Bedürfnis haben Geld anzulegen oder zu sparen, scheint die Rendite eher nebensächlich zu sein. Die Rendite ist in der Folge am Ende des (Anlage-)Entscheidungsprozesses von Relevanz, wohingegen die Anlageziele und Motive am Beginn der Entscheidung stehen. Eine Produktpolitik, welche also anstelle des Zinssatzes die unterschiedlichen Kaufmotive in den Fokus rückt, kann auch in Zeiten negativer Zinsen funktionieren.
Selbstverständlich ist nun noch die Frage zu beantworten, ob hiervon neben einer verhinderten Abwanderung und einer höheren Kundenzufriedenheit auch ökonomische Vorteile ausgehen können. Diese Frage ist nach der Projekterfahrung von Investors Marketing eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Obwohl nämlich viele Institute über ausreichende Einlagen verfügen (Passivüberhang), müssen diese nicht selten dennoch sehr kostspielige Absicherungs- oder Refinanzierungsgeschäfte tätigen, da die vorhandenen Einlagen nicht die zur Finanzierung des meist langfristigen Kreditgeschäftes passende Struktur aufweisen. Eine besser strukturierte Passivseite wirkt sich hier unmittelbar positiv aus. Mitunter wird die Darstellung langfristiger Baufinanzierungen mit Zinsbindungen von 15 Jahren und länger erst über diese Anpassung überhaupt ermöglicht. In einem von Investors Marketing durchgeführten Projekt ist es beispielsweise durch eine Optimierung der Fristigkeiten der Kundeneinlagen mittels innovativer Produktkonzepte gelungen, eine in der Mittelfristplanung bereits vorgesehene institutionelle Refinanzierung teilweise zu ersetzen. Der Einspareffekt, ausgedrückt durch den Refinanzierungssatz am Geld- und Kapitalmarkt, betrug hierbei 70 Basispunkte.
Es bleibt festzuhalten: Das Einlagengeschäft bleibt gerade für Regionalinstitute ein wichtiges Geschäftsfeld und ein gewisser Passivüberhang ist Teil des Geschäftsmodells, wie ein langfristiger Vergleich der Bilanzstrukturen von Geschäfts- und Regionalbanken zeigt. Ziel muss es daher sein, das Einlagengeschäft zu alter Stärke zu führen und den Veränderungen am Markt mit kreativen Lösungen zu begegnen. Gelingt dies erfolgreich, können bisher unerkannte Ertragspotenziale und echte Differenzierungsmöglichkeiten genutzt werden.